Bedeutung der im Blut zirkulierenden Tumorzellen
Die Entwicklung gezielter Krebstherapien wird in vielen Studien angestrebt und die Forschung an Tyrosinkinase-Inhibitoren sowie Immun-Checkpoint-Inhibitoren wird immer bedeutender. Dennoch bleiben zytotoxische Chemotherapeutika der Goldstandard in der neo- adjuvanten oder adjuvanten Behandlung von Tumoren in unterschiedlichsten Stadien. Die Wahl zur Mono- oder Kombinationstherapie ist oftmals Guideline-basiert ohne jegliche molekulare oder funktionale Indikation, welche auch die Limitationen einer solchen nicht-personalisierten Therapie widerspiegelt. Für die Behandlung des metastasierten Brustkrebses wird als First-Line-Therapie Taxol eingesetzt, auf welches nur 30 % der PatientInnen ansprechen. Weitere 30 % erreichen ein Stagnieren der Krankheit und 40 % sprechen gar nicht an, durchleben aber dennoch schwere Nebenwirkungen und die Toxizität dieser Therapie. Der Misserfolg der Chemotherapie liegt an der Tumorresistenz, welche zufällig, unvorhersehbar und erst bei der klinischen Beurteilung auf das Therapie-Ansprechen offensichtlich ist. Könnte man das Resistenz- und Sensitivitätsprofil eines Tumors bereits vor der Therapieanwendung erfassen, würde dies zu erheblich höheren Ansprechraten und in weiterer Folge höheren Heilungsraten führen. In früheren Versuchen eines Chemosensitivitätstests aus isoliertem Tumorgewebe konnte kein klinischer Zusammenhang mit den Ergebnissen gefunden werden. Andere Versuche, bei denen Chemo- und Biologikasensitivitätstests aus zirkulierenden Tumorzellen im Labor durchgeführt wurden, scheiterten am niedrigen Gehalt von extrahierten Tumorzellen.
Die Verfasser der Studie „Clinical utility of circulating tumor-associated cells to predict and monitor chemo-response in solid tumors” (*) haben eine Methode beschrieben, welche die Erkennung, Extraktion und Gewinnung brauchbarer zirkulierender Tumorzellen im Labor aus peripherem Blut von PatientInnen mit diversen soliden Organtumoren ermöglicht. Mit dieser Methode wurden Tumorzellen aus dem Blut von 5090 PatientInnen mit vorangegangener Diagnose von 17 verschiedenen Organtumoren gewonnen. Aus diesem Kollektiv wurden bei 230 PatientInnen Tumorzellen aus einer vorangegangenen Biopsie von Tumorgewebe isoliert. Die Chemosensitivität von zirkulierenden Krebszellen wurde auf verschiedene Zytostatika geprüft und die Ergebnisse wurden mit jenen der Chemosensitivität von Zellen aus Tumorgewebe auf Übereinstimmung getestet. Es wurden sowohl primäre als auch sekundäre Resistenzen aus unbehandelten sowie vorbehandelten Patientenfällen identifiziert.
Studiendesign: Beschreibung der PatientInnen
Die Ergebnisse der Studie stammen von einer Beobachtungsstudie und drei Interventionsstudien, welche sich allesamt mit dem Vergleich von einer personalisierten Therapie mittels molekularer Chemosensitivitätsanalyse aus Tumorzellen im Blut oder direkt aus dem Tumorgewebe und den herkömmlichen Therapieansätzen mit zytotoxischen Chemotherapeutika beschäftigen. Die 5090 PatientInnen wurden retrospektiv auf drei Studienpopulationen aufgeteilt. Population 1 besteht aus 230 PatientInnen, welche zuerst eine Blutabnahme und danach eine Tumorbiopsie erhielten. Ein Teil dieser PatientInnen bereits vorbehandelt. Die zweite Population besteht aus 2201 PatientInnen, die eine Blutabnahme erhalten haben und bereits mit einem zytotoxischen Chemotherapeutikum behandelt wurden. Population 3 besteht aus 2734 PatientInnen, welche eine Blutabnahme erhalten haben und deren Tumor noch unbehandelt war. Es gibt teilweise Überlappungen zwischen den Populationen. Aus den Blutabnahmen wurden alle mononuklearen Zellen epigenetisch behandelt, worauf in gesunden Zellen mit einer intakten Apoptose-Signalkaskade der Zelltod induziert wurde. Die tumorassoziierten Zellen blieben somit übrig. Die gewonnenen Tumorzellen konnten nun immunhistochemisch typisiert werden und den verschiedenen Organen und Karzinomen zugeordnet werden.
Der Chemosensitivitätstest erfolgte auf Mikrotitierplatten mit einer bestimmten Anzahl an Zellen und je einem Chemotherapeutikum pro Schale. Die Sensitivität wird mittels Lichtdurchlässigkeit getestet, welche mit der Apoptoserate korreliert. Somit konnte für jede Zelllinie von Tumorzellen die höchste und niedrigste Sensitivität getestet werden. In Population 1 wurde die Chemosensitivität von verschiedenen Chemotherapeutika zuerst an Zellen aus der Tumorbiopsie getestet und danach mit den Ergebnissen der zirkulierenden Krebszellen verglichen. Bei den Populationen 2 und 3 wurden nur jene Chemotherapeutika getestet, welche laut Guidelines für die jeweiligen Krebsarten eingesetzt werden. Ein Chemotherapeutikum wurde als sensitiv gewertet, wenn 12 Stunden nach Erstexposition der Zelltod in über 50 % der Zellen festgestellt wurde.
Ergebnisse der unterschiedlichen Patientengruppen
In Population 1 wurden die Resultate der Resistenz und Sensitivität aus den im Blut zirkulierenden Tumorzellen sowie der direkt aus dem Tumorgewebe biopsierten Zellen verglichen. Die Ergebnisse stimmen zu 93,7 % überein.
In Population 3 wurden in 58,9 % Resistenzen gegen zytotoxische Chemotherapeutika festgestellt, welche auf eine angeborene intrinsische Resistenz der Tumorzellen hinweist. Von 2734 PatientInnen wurde bei 77 Personen eine radiologische Nachsorgeuntersuchung nach sechs Monaten unternommen. Bei 33 PatientInnen, welche eine hohe Sensitivität gegenüber den getesteten Chemotherapeutika zeigten, konnte mittels PET-CT bei 32 (97 %) PatientInnen ein komplettes oder partielles Ansprechen auf die Therapie festgestellt werden. Die In-vitro-/ In-vivo-Übereinstimmung liegt somit bei 97 %. Bei jenen 44 PatientInnen, bei denen chemisch keine Sensitivität festgestellt wurde, zeigte in 18 Fällen (41 %) auch die radiologische Untersuchung keine Besserung.
In Population 2 wurden bei 77,8 % der PatientInnen Resistenzen gegen zytotoxische Chemotherapeutika festgestellt. Daraus folgt, dass viele Tumorzellen erworbene Resistenzen gegen bereits angewendete Chemotherapeutika entwickeln. In dieser Population erhielten 143 PatientInnen eine radiologische Nachsorge. Bei allen zeigte die Untersuchung eine Verschlimmerung des Krebses und des Krankheitszustands. Die Laboranalysen zeigten bei 124 PatientInnen chemische Übereinstimmungen mit Resistenzen gegenüber den eingesetzten Medikamenten. Die In-vitro-/In-vivo-Übereinstimmung liegt hier bei 86,7 %.
Fazit: Vielversprechender Therapieansatz für TumorpatientInnen
Obwohl das Feststellen von Resistenzen für die optimale Krebsbehandlung von großer Bedeutung ist, hat sich bis heute noch keine Technologie zur Identifikation von angeborenen und prospektiven Resistenzen durchgesetzt. Die heutigen Methoden haben lange Bearbeitungszeiten, zeigen eine niedrige klinische Übereinstimmung und sind sehr invasiv, da eine große Menge an biopsiertem Gewebe benötigt wird. Die hohe Invasivität und die schnelle Tumorprogression machen diese Methoden obsolet.
Die vorliegende Studie zeigt eine Methode auf, mit der schnell und nicht-invasiv ein Chemosensitivitätsprofil angelegt werden kann. Zusätzlich werden nicht nur Tumorzellen erfasst, sondern auch tumorassoziierte Zellen wie Makrophagen und Fibroblasten. Diese tragen erheblich zur Tumorprogression bei, beispielsweise durch Unterdrücken der Anti-Tumor-Immunität. Durch die epigenetische Modifizierung können Tumorzellen rasch gewonnen werden und in weiterer Folge Chemotherapeutika direkt getestet werden.
Zusätzlich bestätigt die Studie, dass die im Blut zirkulierenden Tumorzellen den vorhandenen Tumor adäquat repräsentieren. Ebenfalls konnten signifikante Übereinstimmungen zwischen den Therapieansprechraten in der Radiologie und den Chemosensitivitätsprofilen festgestellt werden. Die Chemosensitivitätstests können daher präzise den Erfolg oder Misserfolg einer Chemotherapie vorhersagen und dienen der langfristigen Überwachung der TumorpatientInnen.
Außerdem fanden die Studienautoren eine hohe Variabilität zwischen den einzelnen Patienten innerhalb der verschiedenen Krebsarten. Daher ist die Erstellung eines Chemosensitivitätsprofils vor Therapiebeginn ratsam, um Therapiefehlschläge, die rasche Krebsausbreitung und das unnötige Zuführen von giftigen Substanzen mit erheblichen Nebenwirkungen zu vermeiden. Die Kenntnis über das In-vitro-Sensitivitätsprofil ermöglicht eine schnelle Identifikation von Resistenzen und könnte signifikant bessere und personalisierte Therapieansätze liefern. Die vorgestellte Methode ist nicht-invasiv und kostensparend. Darüber hinaus vermittelt sie bei der Diagnose sowie fortlaufend therapiebegleitend synchrone Echtzeitinformationen. Die Studie bietet einen sofort einsetzbaren Therapieansatz und könnte den Bereich der zugelassenen Chemotherapeutika außerhalb ihres bisherigen Einsatzgebietes erweitern.
* https://link.springer.com/article/10.1007/s00280-020-04189-8